Kategorie Tagung / Konferenz
Titel Nachwuchstagung: "Was bedeutet Ordnung - Was ordnet Bedeutung? Überlegungen zu bedeutungskonstituierenden Ordnungsleistungen in Geschriebenem" (TP C03)
Termine Freitag, 26.07.2013
Samstag, 27.07.2013
Sonntag, 28.07.2013
Ort Seminar für Klassische Philologie
Dokumente
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  • Der Zusammenhang von Ordnung und Literatur ist integraler Bestandteil der Reflexion über das ,Wesen‘ des Literarischen. Dabei ist jedoch auffällig, dass Ordnung zumeist als rein strukturelles Phänomen begriffen wird und als deskriptives Instrument zur Erfassung der tex­tuellen Kohärenz dient. Solche im weitesten Sinne formalen Definitionen des Ordnungsbe­griffs, die auf ihren Ursprung in der antiken Rhetorik (als schematische Ordnung und Abfolge der Redeteile) zurückweisen, operieren zumeist auf der Textoberfläche. Ordnung ist jedoch keine rein strukturell-deskriptive Kategorie der Literaturwissenschaft, sondern ist gerade auch für die Sinnkonstitution des Textes von eminenter Bedeutung. Welche anderen Bestimmungen des Ordnungsbegriffs lassen sich aus einer erweiterten Perspektive ableiten?

    Aus phänomenologischer Perspektive können mit Waldenfels drei Formationen von Ordnung unterschieden werden: Ordnung als Ganzes, Ordnung als Arché und Ordnung als Dynamik (Waldenfels 2000). Trotz dieser literaturwissenschaftlich-philosophischen Annäherung – so die dem Kolloquium zugrunde liegende Prämisse – ist das Verhältnis zwischen Literatur und Ord­nung noch nicht erschöpfend erfasst.

    Aus epistemologischer Perspektive freilich ist die Zentralität der Frage nach der „Ordnung der Literatur“ seit Michel Foucault weithin anerkannt; erst im Frühjahr 2012 fand unter diesem Titel an der FU Berlin ein Workshop statt, welcher sich im Speziellen mit Foucaults Frage nach den Bedingungen der Möglichkeit von Objekten, Begriffen, Theorien oder Regeln be­fasste (http://userpage.fu-berlin.de/gr1/ordnungliteratur_de.html). Diese Analyse epistemi­scher Ordnungen jenseits des einzelnen Textes, welche zu den von ihnen gezeitigten (textuel­len) Realisierungen in einem Verhältnis der Kontingenz stehen, führte in der Nachfolge Foucaults für einen Teil der Literaturwissenschaften zu einer radikalen Historisierung des eigenen Ge­genstands, durch welche die Einheit des einzelnen Textes zu Gunsten seiner Diskursivierung innerhalb der jeweiligen epistemisch-diskursiven Ordnung aufgegeben wurde.

    Der konzeptuelle Rahmen des in Heidelberg ansässigen SFB 933 (http://www.materiale-textkulturen.de/artikel.php?s=2) bietet ein fruchtbares methodisches Instrumentarium zur Analyse dieser zentralen Frage: derjenigen nach den Bedingungen der Möglichkeiten von Sinnkonstitution (cf. Hilgert 2010). Basierend auf der Prämisse, dass Geschriebenem kein im­manenter Sinngehalt eigne, sondern dass dieses vielmehr durch je historisch spezifische Re­zeptionspraktiken je spezifische Sinnzuschreibungen erfahre (Reckwitz 2006), wird hier eine Rekonstruktion dieser sinnkonstitutiven historischen Rezeptionspraktiken unternommen, wel­che von der effektiven materiellen Präsenz schrifttragender Artefakte ausgeht. Die subjektiven Sinnzuschreibungen werden ihrerseits als Ausdruck kollektiver Wissensordnungen verstan­den; dem Arrangement schrifttragender Artefakte, mithin deren raumkonstitutiver An-ordnung als Aktanten im sozialen Raum, kommt hierbei ebenfalls zentrale Bedeutung zu. Die Frage nach vorbewussten Ordnungsstrukturen, welche der Bildung von Begriffen, Konzepten, Theorien, mithin der Konstitution von Bedeutung überhaupt vorgängig sind, findet sich hier also mit besonderer Prägnanz formuliert. Innerhalb eines im weitesten Sinne historischen Er­kenntnisinteresses wird Bedeutungskonstitution als auf kulturellen Wissensordnungen einer­seits und subjektiven Sinnzuschreibungen andererseits basierende Praxis gedacht; die Katego­rie der Ordnung ist also wie bei Foucault jenseits des Textes lokalisiert: in Form von „in Diskursen und Arrangements manifestierte[n] Wissensordnungen“ (Hilgert 2010, S. 24).

    Eine zentrale Frage dieses Kolloquiums besteht darin, ob es für die philologischen Textwissenschaften zielführend sein könnte, solche jeglicher Bedeutung vorgängigen Ordnungsleistungen auch diesseits des Textes zu rekonstruieren, ohne dabei in überholte apriorische Sinnpos­tulate zurück zu fallen. Dies bedeutet gerade nicht, dass irgendwie geartete unstruktu­rierte ,imaginäre‘ Inhalte („Substanzen des Inhalts“, cf. Gumbrecht 2004, S. 31ff.) dem struk­turierten Ausdruck menschlichen Bewusstseins (der „Form des Inhalts“, cf. ibid.) vorausgehend gedacht werden; es stellt sich hier vielmehr die Frage nach einer Form ,vorbedeutsamer‘ Ordnung. Es soll mithin die bei Fou­cault eingeforderte Verabschiedung der Einheit des Textes kritisch reflektiert werden, indem ihr eine Betrachtung der „strukturellen Form der Oszillation [von Präsenzeffekten] mit der Sinndimension“ (ibid., S. 34) in poetisch stilisierten Texten zur Seite gestellt wird.

    Ein solches methodologisches Komplement zur post-foucault’schen ,radikalen Historisierung‘ literarischer Texte, welche auf die Rekonstruktion bedeutungskonstitutiver Wissensordnungen resp. Rezeptionspraktiken abzielt, könnte in deren ,radikaler Philologisierung‘ bestehen, wel­che auf die Beschreibung sprachlicher Einteilungs- und Ordnungsleistungen in Texten abzielt, die ihrerseits der Bedeutungskonstitution vorgängig sind. Eine solche Perspektive wurde un­längst von Jürgen Paul Schwindt in seinem Konzept einer „Radikalphilologie“ projektiert (Schwindt 2006).

    Womöglich kann nicht zuletzt auch die Analyse des Verhältnisses von Text und Kontext an Prägnanz gewinnen, wenn dieses als Verhältnis der Interaktion resp. Wechselwirkung zwi­schen textuellen und epistemischen „Deutungs- und Bedeutungsrahmen“ (Hilgert 2010, S. 24) betrachtet wird. So kann die Relevanz beider Ordnungen, diesseits wie jenseits des Textes, für die Bedeutungskonstitution klarer vor Augen treten.

    Eingeladen sind Doktoranden und Postdoktoranden aus den Bereichen der Klassischen und Neueren Philologien, der Philosophie aber auch angrenzender Gebiete mit Beiträgen, welche in Form eines 20-minütigen Vortrags die dem Kolloquium zugrunde gelegte Fragestellung reflek­tieren. Die Beiträger sollten ihren Ordnungsbegriff theoretisch fundieren und nach Möglichkeit in einer textnahen Interpretation explizieren.

     

    Literatur

    • Gumbrecht, H.U., Diesseits der Hermeneutik. Die Produktion von Präsenz, Frankfurt a.M. 2004.
    • Hilgert, M., „Text-Anthropologie. Die Erforschung von Materialität und Präsenz des Geschriebenen als hermeneutische Strategie“, Mitteilungen der deutschen  Orientgesellschaft zu Berlin, 142 (2010), S. 87-     126.
    • Reckwitz, A., Die Transformation der Kulturtheorien. Zur Entwicklung eines Theorieprogramms, Weilerswist 2006.
    • Schwindt, J.P., „Schwarzer Humanismus. Brauchen wir eine neue Alte Philologie?“, Merkur, 60 (2006), S. 1136-1150.
    • Waldenfels, B., „Das Ordentliche und das Außer-ordentliche“, in: B. Greiner / M. Moog-Grünewald (Hg.), Kontingenz und Ordo. Selbstbegründung des Erzählens in der Neuzeit, Heidelberg 2000, S. 1-14.

     

    Die Tagung wird organisiert von den Mitarbeitern des Teilprojekts C03 "Zeitformen. Raumformen. Strategien der Verhandlung von Materialität und Präsenz der Schrift in der augusteischen Literatur". Weitere Informationen erhalten Sie bei Christian Haß und Eva Noller. Eine Anmeldung ist nicht erforderlich.

    Die offizielle Pressemitteilung der Universität Heidelberg zur Veranstaltung finden Sie hier