Kategorie
Titel Workshop Praxeologie
Termine Freitag, 02.12.2011
Samstag, 03.12.2011
Ort Universität Heidelberg

Praxistheorien als Konzepte interdisziplinären Forschens

Organisatoren: Friederike Elias, Albrecht Franz, Henning Murmann, Ulrich Weiser

Peer-Mentoring-Programm der Heidelberger Graduiertenschule für Geistes- und Sozialwissenschaften (HGGS) und SFB 933 "Materiale Textkulturen"

Unter der programmatischen Bezeichnung „Praxeologie“ lässt sich eine bestimmte Richtung soziologisch-kulturwissenschaftlicher Theorien zusammenfassen, die sich von einem statisch-strukturalistischen Kulturverständnis abwendet. Einem auf Norm-, Zeichen- oder Sinnsysteme verengten Kulturbegriff soll mit der Praxeologie ein Ansatz gegenübergestellt werden, der die Dynamik, Vieldeutigkeit und Veränderbarkeit kultureller Phänomene in den Blick nimmt. Im Zentrum der praxeologischen Analyse steht dabei der Akteur, dessen Handeln und Deutungsmacht eine zentrale gestalterische Funktion für jede Form von Kultur zugemessen wird. Die in diesem Zusammenhang entwickelten Konzepte und Ansätze stoßen in den geistes- und sozialwissenschaftlichen Disziplinen auf immer größeres Interesse, sodass gelegentlich sogar schon von der Möglichkeit einer „praxeologischen Wende“ gesprochen wird.

Im Rahmen des Workshops sollen praxeologische Theorien (z.B. die Theorien der soziologischen Klassiker Pierre Bourdieu und Anthony Giddens, die Artefakt-Theorien sowie die Theorien des Performativen) und ihr Potential für die interdisziplinäre Forschung diskutiert werden. Darüber hinaus gilt es, Zugänge zur Operationalisierung praxistheoretischer Ansätze in verschiedenen Disziplinen zu entwerfen und zu diskutieren. Konkrete Untersuchungsfelder praxeologischer Ansätze erschließt beispielsweise die Frage nach Herrschaftspraktiken. Aushandlungsprozesse zwischen konkreten politischen Akteuren lassen sich damit ebenso analysieren wie auch politische Praktiken, die sich in Ritualen und Zeremonien manifestieren. Darüber hinaus ist nach dem analytischen Potential der Praxeologie hinsichtlich derjenigen Personengruppen zu fragen, die als „Beherrschte“ häufig nicht als Akteure in den Blick geraten. Nach diesem Verhältnis von Alltagspraktiken und normativen Erwartungen wäre beispielsweise im Rahmen der Diktatur-, Kriminalitäts- oder Policeygeschichte, aber etwa auch der Unternehmensgeschichte, zu fragen. In einer gesellschaftsgeschichtlichen und sozialwissenschaftlichen Perspektive verweist der praxeologische Ansatz damit auch auf die aktuelle Frage nach der Verbindung von Akteur und Struktur, Mikro- und Makroperspektive. Zu diskutieren wäre die Relevanz praxeologischer Ansätze außerdem für die Körpergeschichte, wie auch für die Frage nach Kulturtechniken. Unter dem Begriff der Materialität verweist die praxeologische  Perspektive auch auf den Stellenwert von Artefakten – sei es als Quellen, als Repräsentationen des Sozialen oder als Gegenstand der Vermittlung, etwa im musealen Bereich.

Zu diskutieren sind insbesondere folgende Dimensionen und Anwendungsfelder der Praxeologie:

Panel 1:         Akteure und Praktiken

Im Zentrum des ersten Panels stehen Fragen nach den kleinsten „Einheiten“ der Praxeologie, Praktik und Akteur. Die Anwendungsfelder sind hier bestimmt von Begriffen wie Materialität, Artefakte, Körper, Kulturtechnik, Akteur und Subjekt. Ethnographische Herangehensweisen sind hier ebenso denkbar wie die Analyse materieller Kultur oder mikrogeschichtliche Fragestellungen. Unter anderem könnten Arbeiten vorgestellt werden, die sich mit dem Zusammenhang von Dingen und Handlungen auseinandersetzen. Interessant wären für dieses Panel auch Forschungen, die sich mit der Körperlichkeit von Praktiken und Wissen befassen.

Panel 2:         Von der Praktik zur Praxis

Das zweite Panel befasst sich mit dem Schritt von der Praktik zur Praxis. Im Zentrum stehen dabei Begriffe wie Wissensordnung, Institution oder Diskurs. Das Panel soll Forschungsarbeiten aufnehmen, die die Makro-Perspektive einnehmen bzw. sich mit Fragestellungen auseinandersetzen, die auf der Meso-Ebene angesiedelt sind. So ist beispielsweise zu fragen, in welchem Verhältnis Praxis und Wissensordnung zueinander stehen, ob Wissensordnungen Teile umfassen, die sich nicht in der Praxis widerspiegeln oder ob der Gegenstandsbereich dieser Begriffe deckungsgleich ist.

Panel 3:         Kultur als Prozess

Das dritte Panel widmet sich der Frage nach der Prozessualität von Kultur: wie kann sie theoretisch und methodisch erfasst werden? Die zu behandelnden Themen orientieren sich hier an Begriffen wie Routine, Stabilität, Instabilität und Diskontinuität. Zu diskutieren wäre, wie es zur Herausbildung von Praktiken und der Praxis insgesamt kommt. Vorgestellt werden könnten auch Ansätze, die sich mit der Konzeptualisierung von Wandel in praxeologischen Theorien auseinandersetzen.

Kontakt

praxeologie@hggs.uni-heidelberg.de

Alle interessierten Doktorandinnen und Doktoranden sind herzlich eingeladen, bis zum 15. September Vorschläge für einen Beitrag in Form eines Abstracts (ca. eine Seite) einzureichen.

Im Rahmen des Peer-Mentoring-Projekts der HGGS zum Thema Praxeologie wird es im Vorfeld des Workshops auch ein reguläres Doktorandenseminar geben, zu dem alle Mitglieder der Graduiertenschule und des Sonderforschungsbereichs 933 „Materiale Textkulturen“ unabhängig von der Teilnahme am Workshop eingeladen sind. Im Zentrum des Seminars stehen Schlüsseltexte der Praxeologie, anhand derer in das Thema eingeführt und ein gemeinsames Verständnis zentraler Begriffe entwickelt werden soll.