Kategorie Workshop
Titel Workshop: "Vernichtung von Schrift" (TP A03)
Termine Dienstag, 01.12.2015
Mittwoch, 02.12.2015
Donnerstag, 03.12.2015
Ort IWH Heidelberg
Dokumente
  • SFB933_Workshop_A03_Dez_2015_Programm
  • Bericht_A03_Workshop_Kuehne-Schneidereit
  • „Vernichtung von Schrift“

    1.-3. Dezember 2015

    IWH Heidelberg

     

    Die gezielte physische Zerstörung von Schrift ist ein Phänomen, das durch die Zeiten hindurch in verschiedenen kulturellen Kontexten, Situationen und Diskursen beobachtet werden und in ihrer Anwendung als Mittel zu unterschiedlichen Zwecken dienen kann. Eine Art von Schriftvernichtung, welche das Verbrennen eines Namens mit einer intendierten Schädigung des Namensträgers verbindet, lässt sich beispielsweise in einem altägyptischen Ritualtext zur Vertreibung des Götterfeindes Apophis finden (Papyrus Bremner-Rhind, BM 10188, Kol. 26.20, 300 v. Chr.). Hier heißt es, der angegebene Ritualtext sei täglich über dem Namen des Apophis, der auf einen neuen Papyrus geschrieben werden soll, zu rezitieren und anschließend ins Feuer zu geben. Ganz andere Ziele werden mit der Verbrennung von Schrift verfolgt, welche in der erneut aus ägyptischem Kontext stammenden Geschichte von Setne (Papyrus Kairo CG 30646, Kol. 4.3-4.4, ca. 2. Jhd. v. Chr.) geschildert wird. Hier begibt sich Naneferkaptah auf die Suche nach einem Buch, das umfassendes Wissen birgt. Nach seiner Auffindung und einer ersten Lektüre fertigt er eine Kopie des Textes auf einem neuen Papyrus an, verbrennt ihn, löst die Asche in Wasser auf, trinkt das Gemisch und weiß nun alles, was im Text geschrieben stand.

    Diese zwei Beispiele können das Spektrum der Formen und Funktionen von Schriftvernichtung illustrieren, zeigen aber nur einen kleinen Auszug aus demselben. Neben der Verbrennung von Schriftträgern, ihrer Auflösung in Flüssigkeiten und der körperlichen Einnahme lässt sich unter anderem auch an das Zerreißen oder Zerbrechen des Schriftträgers und an das Ausmeißeln von Inschriften denken. Eine solche oder eine vergleichbare Handlung der Auslöschung von Schrift kann eine Ablehnung der festgehaltenen Inhalte zum Ausdruck bringen, gezielt gegen das Andenken an eine Person vorgehen oder als Mittel zum Zweck der Wissensverdammung herangezogen werden. Neben ganz pragmatisch und praktisch orientierten Zielen wie dem Verhindern von Fälschungen zielt die Entmaterialisierung von Schrift in anderen Fällen auch auf positive Wirkungen ab, so kann sie einem Text zum Beispiel zur vollen Entfaltung verhelfen oder die Verewigung der Textinhalte zum Gegenstand haben. Über die Funktion der Zerstörung hinaus lässt sich auch fragen, welche Rolle das Wissen spielen mag, welches Drittpersonen oder nicht direkt in den Prozess involvierte Parteien um die erfolgte Zerstörung einer bestimmten Schrift haben. Diesbezügliche Überlegungen berühren nicht nur Phänomene wie die damnatio memoriae sondern tangieren beispielsweise auch Fälle aus dem asiatischen Raum, welche nahelegen, dass aus dem als zu beheben gedeuteten Fehlen von Schrift bzw. dem (vermeintlichen) Wissen um ihr Fehlen eine Neuschaffung von Schrift resultierte.

    Das Ziel des Workshops ist es, diese Vielfalt an Möglichkeiten und Fragestellungen im Hinblick auf Art und Funktion von Schriftvernichtung kulturübergreifend zu diskutieren und anhand von diversen Beispielen aus verschiedenen Blickwinkeln zu beleuchten. Die untersuchten Quellen können dabei von real erfolgten und dokumentierten Fällen von Schriftvernichtung bis zum literarischen Aufgreifen dieses Motives in unterschiedlichen Diskursen und Textsorten reichen. Die breitgestreute fachliche Ausrichtung der des Workshops soll dazu dienen, Vergleichsmaterial aus ganz unterschiedlichen Disziplinen und Kulturräumen zu sammeln, um durch Gegenüberstellung von einzelnen Fällen Konstanten und Variablen herauszuarbeiten und so das Vorgehen gegen die materielle Präsenz von Schrift bzw. das Phänomen „Vernichtung von Schrift“ in all seinen Facetten zu erörtern.

    Kontakt: Prof. Dr. Joachim Friedrich Quack, TP A01 UP1
                  (Email: joachim_friedrich.quack@urz.uni-heidelberg.de)