Kategorie Tagung / Konferenz
Titel Tagung: "Lebenszyklus und (Selbst)Biographien der Dinge"
Termine Freitag, 04.12.2015
Samstag, 05.12.2015
Ort Paderborn, Universität, Warburger Str. 100, Raum Raum E5.333

Veranstalter: Forschungsprojekt "Kulturelle Zyklographie der Dinge": Ralf Adelmann, Christian Köhler, Kerstin Kraft, Christoph Neubert, Mirna Zeman
Kooperationspartner: Rolf Parr (Universität Duisburg-Essen), Hartmut Winkler (Universität Paderborn)

Konzept

Die Statthalter der ›Lebenskurven‹, die (auto)biographische Narrative und Gattungen erzählen, sind in der Regel menschliche Protagonisten. Diese Norm ist äußerst stabil und ruht u.a. auf der Stütze der Einstellung der vermittelnden (Auto-)Genres auf individualistische Subjektivierung. Aktuell haben jedoch Denkfiguren, Konzepte, Modelle, fikti-onale Formen und schließlich auch harttechnologische Verfahren Konjunktur, die dem Mensch die exklusiven Besitzansprüche an eine ›Lebenskurve‹ absprechen, indem sie diese auch der ›toten Materie‹ einräumen, zuschreiben, ›anvisualisieren‹.

Materielle und immaterielle Artefakte − besagt die Theorie − haben eine Trajektorie, eine Bahn, ein Life Cycle. In den Material Culture Studies entfaltet sich das Konzept eines ›Lebenszyklus‹ der Dinge, das es u.a. mittels der Methode der ›Objektbiographie‹ darzustellen gilt, aktuell in einer Reihe wissenschaftlicher Publikationen. Neben Konzepten der ›Trajektorie‹ bzw. der ›Bahn‹ der Dinge, die etwa im Rahmen der ANT Prominenz haben, gibt es auch wissenschaftliche Modelle, die die Vorstellung einer ›Lebenskurve‹ auf Nicht-Handfestes, auf ›immaterielle‹ Objekte applizieren und auch für diese eine Art Biographie-Tauglichkeit veranschlagen. In der Linguistik und in den Literaturwissenschaften wurden Wort-Lebenszyklus-Theorien formuliert, in den Science and Technologie Studies wird aktuell über ›Biographien‹ und ›Lebenstrajektorien‹ digitaler Objekte – der Dateien, der Standards, der Daten und der Codes – nachgedacht.

Das Interesse für Object-Life-Cycles persistiert nach wie vor auf der Darstellungsebene der Medien und Künste. Eine Vielzahl von audiovisuellen Formen zeigt und erzählt ›Lebenszyklen‹ der Artefakte, darunter Werbeclips, Musikvideos, Spielfilme und Reportagen. In der Literaturgeschichte hat das Erzählen der Werdens- und Vergehensprozesse des Dings eine lange Tradition. Ästhetische Darstellungen der ›Lebenskurven‹ der Dinge reichen von der frühneuzeitlichen Schwank-Literatur über It Narratives, Process Articles und Produktionsromane, Fließbandprosa und literatura fakta bis hin zu den Dinggeschichten in der Gegenwartsprosa. Im Modus der Fiktion ergreifen die Artefakte nicht selten selbst das Wort und erzählen aus der Ich-Perspektive über ihre Trajektorien und Transformationen.

Die ›(Auto)Biographien‹ der Artefakte entpuppen sich nicht selten als ›Prozessvitae‹, bzw. als Erzählungen über Vorgänge des In-Form-und-Norm-Bringens, die Dinge gleichwie Menschen heimsuchen. Indem sie gleichsam auf Din-ge/Formen und Praxen fokussieren, realisieren die vielfältigen medialen Darstellungsformen der Object-Life-Cycles auf einer anderen ontologischen Ebene eben den Ansatz, den Literatur-, Kultur- und Medientheorie aktuell fordern: Nämlich Din-ge/Objekte/Artefakte als einen operativen Zusammenhang zu denken und in ihrer Ein-gebundenheit in Prozessen und Praktiken zu analysieren.

Geht man von drei Bestandteilen der Komposita Object-Life-Cycle und Objekt-bio-graphie aus, so haben zweifelsohne die jeweils letzteren Elemente ›Cycle‹ und ›-graphie‹ am wenigsten Beachtung in der bisherigen Forschung gefunden. Die Tagung der Forschungsgruppe »Kulturelle Zyklographie der Dinge« fragt daher dezidiert nach

a) der Komponente des Zyklischen in der Trajektorie der Artefakte und
b) den technischen, wissenschaftlichen und ästhetischen Verfahren und Methoden der Modellierung, Visualisierung, Darstellung, Erzählung der ›Lebenszyklen‹ der Dinge.

a) Komponente des Zyklischen
Die im Begriff Object-Life-Cycle schlummernde Metapher überträgt die wachstümlich-organischen Konnotationen des ›Lebens‹ auf Objekte und das Wort schreibt dieses ›Leben‹ in algebraischen Zeichen als zyklusförmig aus. Doch wie viel Zyklus steckt in einer Artefakt-Trajektorie tatsächlich? Welche Art Zyklen werden im Zusammenhang mit Objekt-Trajektorien theoretisch-abstrahierend thematisiert; welche lassen sich aus den dingbiographischen Narrativen extrapolieren?

b) Verfahren
Mit dem aus dem Russischen Formalismus stammenden Begriff Verfahren wird hier dezidiert ein Durchgriff auf die Mittel und Formen ‒ das konkrete Wie ‒ der Darstellung, Erzählung, Visualisierung der Trajektorien der Dinge in Wissenschaft, Kunst und Populärkultur gefordert. Der Workshop fragt u.a. nach medienübergreifend typischen Formen und Verfahren der Vergegenwärtigung der ›Lebenszyklen‹ der Artefakte sowie nach dem synchronen Zusammenwirken und den diachronen Wandel dingbiographischer Genres, Formen und Verfahren. Dabei gerät auch die Frage nach den jeweils spe-zifischen Funktionen, Reflexionspotentialen und Effekten der ›Lebensgeschichten‹ der Dinge in den Blick.


Die Tagung ist öffentlich. Um eine Anmeldung per Mail (mzeman@mail.uni-paderborn.de) wird gebeten.

Programm

Freitag, 4.12.2015

10.30-11.00: Begrüßung und Einführung

11.00–12.30: Jürgen Link (TU Dortmund):Diskursive Zyklen: Das Beispiel zyklischer Denormalisierungen und der Diskurskomplex der »Anten« im deutschen Sprachraum

12.30-13.30: Mittagspause

13.30-15.00: Hans Günther (Universität Bielefeld): Von den anarchischen über die funktionalen zu den absurden Dingen. Ding-Konzepte der russischen Avantgarde

15.00-15.30: Kaffeepause

15.30-17.00: Peter Braun (Friedrich-Schiller-Universität Jena): Versuch über die Objektbiographie

17.00-17.15: Kaffeepause

17.15-18.45: Antje van Elsbergen (Philipps-Universität Marburg): Das musealisierte Drama einer Maske. Fremdkulturelle Objekte im eigenkulturellen Kontext

20.00: Abendessen

Samstag, 5.12. 2015

9.30-11.00: Anil K. Jain (ZU Friedrichshafen): Der mediale Charakter der Objekte und die Ökonomie des Begehrens. Medien, Dinge und ihre Geschichte(n)

11-11.30: Kaffeepause

11.30-13.00: Timo Kaerlein (Universität Paderborn): »Don’t pretend you are not complicit!« Smartphone-Lebenszyklen und die Frage nach den Grenzen des Apparats

13.00-13.15: Ausklang


Kontakt:
Mirna Zeman
E-mail: mzeman@mail.uni-paderborn.de
Web: https://kw1.uni-paderborn.de/forschung/kulturelle-zyklographie-der-dinge/aktuelle-veranstaltungen/