Kategorie Tagung / Konferenz
Titel Tagung: "Paperworks – Literarische und kulturelle Praktiken mit Schere, Leim, Papier"
Termine Donnerstag, 19.11.2015
Freitag, 20.11.2015
Ort Bern, Schweizerisches Literaturarchiv (SLA)

Tagung der Reihe "Beide Seiten" des Schweizerischen Literaturarchivs Bern
Konzeption: Irmgard M. Wirtz (SLA) und Magnus Wieland (SLA)

Papier erlangt derzeit, im Zuge des zunehmenden Materialitätsinteresses in den Literaturwissenschaften, verschiedentlich an Aufmerksamkeit. Die allseitige Digitalisierung von Texten schärft die Sensibilität für die spezifische Materialität eines Trägermediums, dessen Ende im digitalen Zeitalter schon mehrfach angekündigt wurde, bislang aber nicht eingetroffen ist. Im Gegenteil: Die Rede vom «papierlosen Büro» hat sich ebenso als Illusion erwiesen, wie auch das Papierarchiv durch die Arbeit am Computer keineswegs obsolet geworden ist. Noch immer betreiben wir Paperworks.

Diese papierne Resistenz nimmt die Tagung zum Anlass, um nach der besonderer Qualität und Affordanz des Papiers gerade auch im literarischen Schreibprozess zu fragen. Dabei dient das Papier zu weitaus mehr als zum blossen Schriftträger. Schriftsteller legen oft grossen Wert auf die Wahl ihres Schreibpapiers; sie linieren ihre Blätter vor, teilen die Fläche durch Falzungen auf oder schneiden sie zurecht und kleben sie (wieder) zusammen. Die einen bevorzugen grosse Heftbogen, andere wieder wirtschaften mit einer Fülle kleiner Zettelchen. Die Vorlieben sind vielfältig und deuten darauf hin, dass der materielle Schreibgrund nicht grundlos an der Genese von Texten mitarbeitet, sondern schreibfördernde, wenn nicht gar kreative Effekte zeitigen kann.

Wie das Papier dem Schreiben als Support dienen kann, so wird das Papier beim Schreibprozess mitunter auch physisch traktiert, wenn der Autor neben Stift auch zu Kleber und Schere greift, um seine Manuskripte neu zu arrangieren oder Zitate oder Zeitungsausschnitte in den Text zu montieren. Solche analogen Cut-&-Paste-Verfahren entlasten von mühseligen Ab- oder Umschriften, sie können sich aber auch zu artistischen Verfahren der Text- und/oder Bild-Collage ausweiten, wie überhaupt das Papier in experimenteller Lyrik und Prosa eine eigene Materialsemantik entfaltet. Nicht umsonst erklärt Antoine Compagnon die Tätigkeit des Schneidens und Leimens zu einer Generalmetapher für das Schreiben schlechthin: «Découpage et collage sont les expériences fondamentales du papier, dont lecture et écriture ne sont que des formes dérivées», und erklärt entsprechend Leimtopf und Schere zu «objets emblématiques de l'écriture».

Die Tagung nimmt die metaphorische Rede Compagnons ernst, indem sie die «pratique du papier» in ihrer Materialität erkunden will. Ziel ist es, in einzelnen Fallstudien den verschiedenen Einsatzweisen solcher Praktiken des Papiers im kulturellen Umgang, aber auch in der Literatur und im (literarischen) Schreibprozess nachzugehen. Die Spannweite reicht dabei von rein arbeitsökonomischen Methoden bis hin zu ästhetischen und poetischen Valenzen des Papiers.

Begleitend zur Tagung wird eine Kabinettausstellung gezeigt mit ausgewählten Exponaten des Schweizerischen Literaturarchivs zum Thema.

TAGUNGSPROGRAMM

DONNERSTAG, 19. November 2015

13.30 | Irmgard M. Wirtz, Magnus Wieland: Begrüssung und Einleitung
14.00 | Uwe Wirth (Giessen): Greffe materielle. Die kulturtechnischen Wurzeln des Cut and Paste
14.45 | Gisela Steinlechner (Wien): Aus zweiter Hand. Papier- und Buchstabenkreisläufe in der Art brut

16.00 | Markus Krajewski (Basel): Spiel. Visite. Wissen. Zur Macht der kleinen Karten
16.45 | Andreas Langenbacher (Bern): Das grosse Leuchten. Eine kleine Poetik der leeren Seite

*18.00 | Abendveranstaltung: "Bern ist mein Ursprung des Konkreten"
        Eugen Gomringer im Gespräch mit Irmgard M. Wirtz

FREITAG, 20. November 2015

09.00 | Wolfram Groddeck (Zürich/Basel): "HALB-WELT". Zur Rolle der Papiere in Robert Walsers mikrographischem Werk
09.45 | Marie Millutat (Berlin): Walter Benjamins Papierbausteine. Rekonstruktion einer frühen Fassung des Kafka-Essays

11.00 | Bettina Mosca-Rau (Zürich): Ludwig Hohl gegen die "Glattheit des Papiers"
11.45 | Walter Morgenthaler (Basel): Papier fürs Archiv? Zu Kuno Raebers Gedichtnachlass

13.30 | Regula Bigler (Bern): "Alles, Schönes und Grausames, gleichzeitig". Zu Erica Pedrettis Journal "Heute. Ein Tagebuch" von 2001
14.15 | Stephan Kammer (München): "Unter Wasser" schneiden und kleben. Womit/worauf Matthias Zschokke schreibt

15.30 | Juliane Vogel (Konstanz): Syndetikon. Der Klebstoff und die Avantgarden
16.15 | Birgit Kempker (Basel): Schere, Leim, Papier und die Vier

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* Tickets für die Abendveranstaltung sind erhältlich über www.kulturticket.ch oder am Empfang der Schweizerischen Nationalbibliothek, Tel. 058 465 02 57. Reservierte Tickets müssen bis 15 Minuten vor Beginn der Veranstaltung abgeholt werden, die Plätze werden sonst freigegeben.