Materiale Textkulturen
Teilprojekte
DE
     
A03

Materialität und Präsenz magischer Zeichen zwischen Antike und Mittelalter

 
UP2

Magie im Kontext: defixiones und die Kommunikation mit antiken Göttern

 

Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der 1. & 2. Förderperiode

Teilprojektleiterin Prof. Dr. Andrea Jördens
akademische Mitarbeiterin PD Dr. Ulrike Ehmig
akademische Mitarbeiterin Dott. Giuditta Mirizio

 

 

 

Projektbeschreibung

In den vergangenen 15 Jahren hat die Beschäftigung mit Magie im griechisch-römischen Altertum und insbesondere mit defixiones einen regelrechten Boom erfahren. Neben langfristig angelegten Datenbankprojekten sind zahlreiche Corpora erschienen, nicht selten als universitäre Qualifikationsarbeiten. Dazu kommen in großer Zahl Vorlagen von Neufunden sowie die Diskussion einzelner beziehungsweise ganzer Gruppen von Fluchtafeln unter linguistischen, inhaltlichen und archäologischen Aspekten.

Das Vorhaben im Rahmen des SFB 933 verfolgt einen neuen Ansatz für die Bewertung von defixiones: Wurden diese bisher stets innerhalb eines eng gedachten Forschungsfeldes „Magie“ betrachtet, wird diese begrenzte Perspektive hier nun geöffnet, indem Fluchtafeln als ein Mittel der Kommunikation antiker Menschen mit den Göttern verstanden und gleichzeitig anderen Möglichkeiten gegenübergestellt werden.

Mit derartigen anderen Möglichkeiten habe ich mich in jüngster Vergangenheit intensiv auseinandergesetzt: In einer Reihe von Studien habe ich untersucht, aus welchen Gründen Menschen in der Antike ein votum formulierten, das heißt eine Gottheit um Hilfe baten und hierfür eine Gegengabe versprachen. Ferner habe ich danach gefragt, womit solche Gelübde einlöst wurden, was die göttliche Hilfe also wert war. In den genannten Arbeiten habe ich jeweils Ausschnitte der rund 12.000 überlieferten lateinischen Votivinschriften näher in den Blick genommen. Eine systematische Analyse habe ich schließlich zu jenen 1.500 lateinischen Sakralinschriften monographisch vorgelegt, die die Wendung donum dedit enthalten und damit ein Geschenk an die Götter bezeugen.(1) Anders als in den Votivinschriften war hier die Gabe (zumindest explizit) nicht an eine vorherige Leistung der Götter geknüpft. Im Rahmen dieser Studie habe ich auch die 12.000 Votivinschriften in einer Weise vergleichend aufbereitet, dass nun gezielte, weiterführende Untersuchungen zur Kommunikation mit antiken Göttern möglich sind, die die ausgetretenen Pfade von Reichs-, Provinzial- und Individualreligion verlassen.

Solche Analysen, die neben donum- und votum-Inschriften zentral defixiones einbeziehen, stehen im Mittelpunkt der 2. Förderperiode in UP2. Erstmals in der Forschung zu antiken sakralen Praktiken sind jetzt Studien zu Fragen wie den folgenden möglich: Erhielten alle römischen Götter in gleicher Weise Geschenke wie sie Adressaten von Hilfegesuchen und vota waren? Wandte man sich an diese Götter auch bei der Verfluchung von Kontrahenten oder zeichnen sich bestimmte göttliche „Zuständigkeiten“ und je nach Anlass spezifische Kommunikationsweisen ab? Kommunizierten verschiedene antike Bevölkerungsgruppen in gleicher oder einer für sie jeweils typischen Weise mit den Göttern? Was waren die Gründe und Hintergründe von Geschenken, Gelübden und Verfluchungen? War die Wahl des Mediums zweckgebunden oder, wie es die religionsgeschichtliche Forschung bisher eher suggeriert, austauschbar? Was stiftete man jeweils als Geschenk beziehungsweise in Gegenleistung für die göttliche Unterstützung? Inwieweit ergänzt hier die konkrete Materialität, das heißt Form und Beschaffenheit der schrifttragenden Artefakte, die jeweiligen epigraphischen Angaben?

Die ersten im Rahmen von A03-UP2 durchgeführten Pilotstudien haben das Potenzial, das den antiken Fluchtafeln für derartige übergeordnete und neue, vergleichende Fragestellungen innewohnt, deutlich gemacht:

Ein erster Beitrag hat seinen Ausgangspunkt in der Beobachtung, dass die Anrufung einer Gottheit als „guter Gott“, bonus deus oder bona dea, kein Charakteristikum der über 20.000 aus der lateinischsprachigen Antike bekannten Sakralinschriften darstellt, die die betreffenden Götter prinzipiell immer möglichst positiv darzustellen versuchen. Überraschenderweise aber tritt die Wendung dagegen mehrfach in Fluchtafeln auf.(2) Die Gegenüberstellung der Zeugnisse führt zu unerwarteten Einsichten in die Hintergründe dieser Praktiken.

Eine zweite Studie analysiert den Charakter der Göttin Proserpina, die als Unterweltsgöttin zu den am häufigsten in defixiones angerufenen Gottheiten zählt. Außer in Fluchtafeln ist Proserpina jedoch auch Adressatin einer Reihe von Votivinschriften.(3) Der Vergleich zeigt ein sehr differenziertes und regional unterschiedliches Verständnis der mit Proserpina angesprochenen Gottheit: Einerseits ist sie, und zwar zentral im Kernland des Imperium Romanum, Mittlerin bei der Verfluchung anderer Personen, andererseits vor allem auf der iberischen Halbinsel servatrix, Bewahrerin in Situationen persönlicher Not.

Wahrnehmung und Umgang mit Fieber in verschiedenen magisch-religiösen Medien der römischen Kaiserzeit stehen im Mittelpunkt einer dritten Studie.(4) Mit Amuletten suchte man sich gegen Fieber zu schützen, das bemerkenswert häufig als Todesursache in lateinischen Grabinschriften genannt wird. Der Furcht und dem Schutz vor Fieber stehen andererseits Fluchtafeln gegenüber, in denen einer verfluchten Person Fieber in verschiedensten Varianten auf den Leib gewünscht wurde.

Ein weiteres, derzeit gemeinsam mit Daniela Urbanová (Brünn) und Konrad Knauber (UP3) verfolgtes Publikationsvorhaben hat die Formulierung „adiuro per vos“ zum Gegenstand. Diese tritt konzentriert und exklusiv in drei verschiedenen epigraphischen Medien und Zusammenhängen auf: in lateinischen Fluchtafeln aus Nordafrika aus dem 3.Jh.n.Chr., in frühchristlichen Grabinschriften aus Italien aus dem 6./7.Jh.n.Chr. sowie in mittelalterlichen Amuletten aus dem 11./12.Jh. Ziel der vergleichenden Betrachtung ist die Analyse der Bedeutungskontexte der Wendung und ihres in Zeit und Medium gespiegelten Wandels.
 

Anmerkungen:

  1. Ulrike Ehmig. Donum dedit. Charakteristika einer Widmungsformel in lateinischen Sakralinschriften (Pietas 9), Gutenberg 2017.
  2. Ulrike Ehmig, Proserpina: Wandlerin zwischen den Welten, Zeitschrift für Papyrologie und Epigraphik 200, 2016, 305–311.
  3. Ulrike Ehmig, Guter Gott! Bonus deus in lateinischen Fluchtafeln, Graeco-Latina Brunensia 20/2, 2015, 3–15.
  4. Ulrike Ehmig, Allgegenwärtiges, verfluchtes Fieber. Inschriften in Stein, Amulette und Fluchtafeln in der Antike, in: Michaela Böttner – Ludger Lieb – Christian Vater – Christian Witschel (Hrsg.), 5300 Jahre Schrift, Heidelberg 2017, 30–33.

 

Teilprojekte der 3. Förderperiode

A01 A02 A03 A05 A06 A08 A09 A10 A11 A12 B01 B04 B09 B10 B13 B14 B15 C05 C07 C08 C09 C10 INF Ö2 Z

 

 

abgeschlossene Teilprojekte

A01 A03 A04 B02 B03 B06 B07 B11 B12 C01 C02 C03 C04 C06 IGK Ö1

 

 

Mitglieder des SFB

Kontakt & Impressum