A03 |
Materialität und Präsenz magischer Zeichen zwischen Antike und Mittelalter |
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UP3
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Magische Schriftlichkeit und ihre Deponierung in mittelalterlichen Gräbern |
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der 1. & 2. Förderperiode
akademischer Mitarbeiter | Konrad Knauber |
Teilprojektleiter | Prof. Dr. Thomas Meier |
Projektbeschreibung
Arbeitsprogramm
Das Dissertationsprojekt wird sich mit mehreren Objekttypen befassen, die bislang noch nicht umfassend unter gemeinsamen und im engeren Sinne text-anthropologischen und praxeologischen Gesichtspunkten untersucht wurden: Es handelt sich dabei vorrangig um bleierne Täfelchen oder Kreuze, die christlich-magische Inschriften beinhalten, bei denen es sich um Anrufungen Gottes und der himmlischen Mächte, Abwehrformeln gegen Teufel und Dämonen und/oder biblische und liturgische Versatzstücke handeln kann. Aus Mitteldeutschland, Großbritannien, Skandinavien und dem Mittelmeerraum wurden jüngst knapp neunzig Stücke gezählt (Muhl/Gutjahr 2013). Da es sich um eine archäologisch bislang kaum beachtete Objektkategorie handelt, ist mit einem weiteren Anwachsen dieser Fundzahlen – auch aus Altbeständen – noch zu rechnen; darüber hinaus muss aufgrund entsprechender Hinweise in den Schriftquellen auch mit vergänglichen Beschreibstoffen gerechnet werden, sodass die bis dato bekannten Stücke sicher nur „die Spitze des Eisberges“ darstellen und ihre lückenhafte Verbreitung möglicherweise vor allem forschungsbedingt ist.
Da sich der magische Charakter der Inschriften hier als Teil der religiösen Alltagspraxis meist im Kontext des Bestattungsrituals und/oder als Schutz der Lebenden zeigt, können weitere Objektgruppen im Zusammenhang mit diesem Themenfeld in die Betrachtung miteinbezogen werden: Hier sind zunächst die hoch- bis spätmittelalterlichen Grabauthentiken zu nennen, die bislang zumeist nur als Beurkundung des Toten für eine spätere Graböffnung gesehen wurden, jedoch in etlichen Fällen auch liturgische Passagen, Anrufungen oder Glaubensbekenntnisse (in Ich-Form) enthalten und in ihrer Gesamtintention durchaus eschatologischen Charakter haben könnten. Als weitere im Sinne der Fragestellung interessante Grabbeigaben wären zerschlagene persönliche Siegel in Gräbern Südskandinaviens sowie päpstliche Bleibullen in französischen und englischen Bestattungen zu nennen. Weitere, allerdings schriftlose, in Gräbern deponierte Objekte wie Weihwasser- und Weihrauchgefäße, Bleikreuze oder -stäbe und Holzkohle können ebenfalls Hinweise auf die religiöse Praxis im Umgang mit Tod und Bestattung liefern. Unter den im Grab gefundenen Trachtbestandteilen sind daneben vor allem solche Objekte interessant, die als Schutz- oder Heilamulette interpretiert werden wie beispielsweise die sogenannten „Thebal“-Ringe. Da zumindest ein Teil der Bleiamulette aufgrund von Lochungen, Textilresten oder Hinweisen im Text augenscheinlich von Lebenden als Amulett getragen wurde, schließt sich so der Kreis der zu untersuchenden Objekte und es stellt sich die Frage, ob die Beigabe in diesen Fällen im Sinne einer fortdauernden Schutzfunktion für den Toten und/oder aus Gründen der Tabuisierung erfolgte.
Im Bearbeitungszeitraum soll zunächst parallel zu einer Sichtung der relevanten Literatur ein besserer Überblick über die oben umrissenen Fundkategorien erarbeitet und schließlich eine analysierbare Materialbasis einschließlich aller für das Projekt relevanten Informationen zusammengestellt werden. Im Zuge dieser weiteren Objektrecherche wird auch die Datenbank ODEGA eine große Rolle spielen, die während der ersten Förderungsphase im Teilprojekt erstellt wurde, bisher über 500 Authentiken und verwandte Objekte umfasst und kontinuierlich erweitert wird.
Unter Einbeziehung mittelalterlicher Schrift- und Bildquellen, vor allem solcher, die sich mit der Herstellung schrifttragender Amulette, der Magie und den „Superstitionen“ im Allgemeinen und dem Wandel der Bestattungskultur und der Jenseitsvorstellungen beschäftigen, soll schließlich eine Auswertung und Interpretation der Artefaktgruppen gemäß der Leitfragen des SFB folgen: Wie ist das Verhältnis von Materialität und Text zu beurteilen und welche Akteurnetzwerke lassen sich jeweils beobachten? Da in vielen der zu untersuchenden Texte Glaubensvorstellungen, Erwartungen und Ängste einzelner unmittelbar ausgesprochen werden, können nicht nur zum Verhältnis von Hoch- und Alltagsreligion bzw. Magie Erkenntnisse erwartet werden, sondern auch zum Kreis der Hersteller und Anwender sowie zur erwarteten Wirkmächtigkeit der Objekte und zu Form und Wandel der gelebten Religiosität im Mittelalter allgemein.