Materiale Textkulturen
Teilprojekte
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A03

Materialität und Präsenz magischer Zeichen zwischen Antike und Mittelalter

 
UP2

Rechtsschutzbitten an Götter und Dämonen (Papyrologie)

 

Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der 3. Förderperiode

Teilprojektleiterin Prof. Dr. Andrea Jördens
akademische Mitarbeiterin Dott. Giuditta Mirizio

 

 

 

Projektbeschreibung

Das Projekt A03 UP2 beschäftigt sich mit der Frage, wie Menschen in der Antike mit Göttern und übernatürlichen Mächten kommunizierten – ein Thema, das schon in der zweiten Förderperiode zentraler Forschungsfokus war. Die sogenannten defixionum tabellae, die Fluchtafeln, wurden bei unserer bisherigen Forschung als Mittel dieser Kommunikation verstanden und anderen Arten und Möglichkeiten wie etwa lateinischen Sakralinschriften gegenübergestellt, dies stets mit besonderer Aufmerksamkeit auf der Materialität der verschiedenen Artefakte.

Den von uns entwickelten methodischen Zugriff – nämlich die vergleichende Analyse der verschiedenen Mittel, die bei der Kommunikation mit Göttern und anderen übernatürlichen Mächten eingesetzt wurden – gilt es nunmehr an einer spezifischen Kategorie von Texten weiterzuführen. Im Mittelpunkt sollen hierbei die sogenannten Rechtsschutzbitten an übernatürliche Mächte stehen, die in den letzten dreißig Jahren zunehmendes Interesse auf sich zogen. In bzw. mit diesen zumeist auf Blei geschriebenen „Prayers for justice“, wie sie gewöhnlich bezeichnet werden, wendete sich ein Individuum an übernatürliche Mächte, um von diesen Genugtuung für eine ihm zugefügte Verletzung seiner Rechte zu erbitten. Zeugnisse für diese Praxis sind vom 3. Jahrhundert v.Chr. bis zum Ende des 4. Jahrhunderts n.Chr. aus den verschiedensten Orten der griechisch-römischen Welt überliefert.

Eine lateinische Rechtsschutzbitte aus Blei, die aus dem Heiligtum der Mater Magna und Isis Panthea in Mainz stammt und auf das 2. Jahrhundert n. Chr. Datiert wird. Ihr Autor ist durch Betrug geschädigt worden und ruft die Mater Magna an, den Übeltäter zu bestrafen. Das Bleitäfelchen ist sehr klein (27,5 x 10,5 Zentimeter) und auf seiner Innenseite mehrfach beschriftet.

Die bisherige Forschung an Rechtsschutzbitten konzentriert sich auf die Frage, ob diese überhaupt als eigene Kategorie anzusehen sind, und wenn ja, inwiefern sie sich von den schon erwähnten defixiones unterscheiden. Beide Textgruppen werden in der Regel auf Bleitäfelchen geschrieben und sind somit hinsichtlich ihrer Beschaffenheit und der Art der Herstellung kaum zu differenzieren. Entsprechend wurden die beiden Gattungen bislang vor allem anhand inhaltlicher Kriterien voneinander abgegrenzt: defixiones verfluchen andere Personen, um ihre Aktionen in der Zukunft zu beeinflussen; Rechtsschutzbitten dagegen wenden sich wegen einer schon erlittenen Rechtsverletzung an übernatürliche Mächte. Zudem scheinen auch die Fundorte – soweit sie bekannt sind – jeweils andere zu sein: Während defixiones zumeist in Gräbern deponiert wurden, sind Rechtsschutzbitten offenbar vor allem in lokalen Göttern geweihten Heiligtümern zu finden.

Für die Zuordnung von Texttafeln zur Kategorie der Rechtsschutzbitten wurden insgesamt sieben „typical features“ definiert. Die Materialität der Artefakte spielte dabei bislang kaum eine Rolle, obwohl auch hiervon Antworten auf die Frage der Differenzen zwischen beiden Textgruppen zu erwarten sind. Hierin liegt ein Forschungsdesiderat, dem wir Abhilfe verschaffen wollen. Folglich wird in der dritten Förderperiode die Analyse der Materialität der Tafeln im Vordergrund unserer Forschung stehen: Erstmals gehen wir systematisch den Fragen von Gestalt und Layout all dieser Artefakte und den damit verbundenen praxeologischen Aspekten nach. Spezifika, die herausgearbeitet werden sollen, sind unter anderem Anfertigung, Größe und Gestalt der Tafeln, Fundorte und Art der Deponierung sowie Handhabung und Art der Beschriftung.

Eine lateinische Rechtsschutzbitte (recto und verso) in Form einer „tabula ansata“, die bei Ausgrabungen in Schramberg-Waldmössingen, Kreis Rottweil, gefunden wurde. Sie wird auf das 1.-3. Jahrhundert n. Chr. datiert und enthält eine Verwünschungszauber gegen einen Dieb.

Obwohl Rechtsschutzbitten fast ausschließlich auf dauerhaftem Material erhalten sind, gab es stets auch andere Möglichkeiten, sich an übernatürliche Mächte zu wenden. Wie und in welcher Form man dies tat – ob auf dauerhaftem oder vergänglichem Material, ob sichtbar oder im Verborgenen –, sind weitere Fragen, die wir addressieren werden. Zu prüfen ist ebenso, ob sich zu verschiedenen Zeiten und an verschiedenen Orten unterschiedliche Praktiken sowie – dies womöglich auch im Sinne gegenseitiger Beeinflussungen – Entwicklungen jeder Art beobachten lassen. Gegenstand der Forschung werden nicht zuletzt die sozialen Faktoren sein, die sich aus einer solchen Neubewertung der Quellen ergeben. Inwiefern lassen sich aus den materialen Aspekten der an Götter und höhere Mächte gerichteten Rechtsschutzbitten Rückschlüsse auf die soziale Wirklichkeit ziehen? Und was sagt dies über das Verhältnis zu gegebenenfalls vorhandenen weltlichen Instanzen aus? Durch den Abgleich mit benachbarten Quellengruppen wie Beichtinschriften, Orakelbitten, sogenannten Verlustanzeigen und Eingaben an staatliche Instanzen werden wir diese und ähnliche Überlegungen zur gesellschaftlichen Kontextualisierung kontinuierlich schärfen. Auf dieser Basis gilt es schließlich zu klären, ob und wie weit die bislang herausgearbeiteten sieben „typical features“ beizubehalten, zu ergänzen, zu modifizieren oder gar völlig neu zu bestimmen sind.

 

Teilprojekte der 3. Förderperiode

A01 A02 A03 A05 A06 A08 A09 A10 A11 A12 B01 B04 B09 B10 B13 B14 B15 C05 C07 C08 C09 C10 INF Ö2 Z

 

 

abgeschlossene Teilprojekte

A01 A03 A04 B02 B03 B06 B07 B11 B12 C01 C02 C03 C04 C06 IGK Ö1

 

 

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